Dirk Braungardt / materialcollagen

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Aktuelle Ausstellung

Vernissage 17:00 Uhr, 2. Etage

VORBILDER SICH ZU TRAUEN



Jutta Jahn Kunsthistorikerin Halle


Ausstellungseröffnung im Lichthaus Halle, 11. September 2021
…Vorbilder, sich zu trauen…
Arbeiten von Dirk Braungardt
Vorbilder, sich zu trauen, so etwas kryptisch, nennt Dirk Braungardt seine Ausstellung.
Bezieht er sich auf künstlerische Vorbilder, die ähnlich gearbeitet haben, wie er?
Jene, die die traditionelle Unterscheidung zwischen Malerei und Skulptur aufbrachen, indem sie die flache Bildebene durch die Integration dreidimensionaler Objekte erweiterten.
Seit den 50iger des 20. Jahrhunderts Jahren haben künstlerische Zeugnisse dieser Art einen festen Platz in der Bildenden Kunst.
Bekannt sind Arbeiten von Robert Rauschenberg und Louise Nevelson, aber auch Arbeiten z.B. von Braqué, Picasso und Marinetti aus den 20iger Jahren sind unter dem Label Materialcollage oder Assemblage zu fassen.
Nun, das könnten die Vorbilder von Dirk Braungardt sein.
‚Sich zu trauen‘ könnte sich auf den Akt beziehen, die verwendeten Objekte ihres ursprünglichen Sinns und Zwecks zu berauben und sie willkürlich in einen fremden neuen Zusammenhang zu stellen.
Bei den in der Assemblage verwendeten Objekten handelt es sich meist um fertige, in einen anderen Kontext gestellte zweckentfremdete Gebrauchsgegenstände, Fotos, Schriftstücke und Naturmaterialien können es auch sein.
Und das Objet trouvé (franz. für ‚gefundener Gegenstand‘), im Englischen heißt das Lost and Found, im Deutschen einfach Fundstück, ist somit ein Alltags- oder Naturgegenstand, der zum Kunstwerk „gemacht“ wird, indem der Künstler l ihn „findet“ und als Kunstwerk behandelt oder in ein solches integriert.
Die Arbeiten von Dirk Braungardt sind also Materialcollagen oder Assemblagen.
Seine Fundstücke arrangiert er auf der Fläche zu neuen Kompositionen, bildet mit ihnen teilweise Reihungen, besetzt Flächen mit dreidimensionalen Rasterstrukturen, die die ursprüngliche Flächengestaltung nur noch erahnen

lassen oder benutzt die Rasterstrukturen als Ordnungssystem für seine Fundstücke. Dabei bilden sich auf der Fläche reliefartige Strukturen oder die verwendeten Fundstücke lassen, konvex oder konkav, Räume entstehen.
Der Reiz seiner Arbeiten liegt in ihrem assoziativen Charakter.
Sie öffnen quasi Erinnerungsschubladen in unseren Köpfen – und diese Erinnerungsschubladen sind sehr individuell.
Die Bezüge, die Anregungen können ganz verschiedene Wege nehmen bei den Personen, die die Arbeiten betrachten und die Reflexionen, die sich einstellen führen jeden in ein eigenes Erinnerungsfeld, sei es Kindheit, Großeltern, Jugend, Historisches.
Sei es das wehmütige Vergnügen an Objekten mit ihrer gewesenen Qualität, die heute nicht mehr zu finden ist, ebenso wie die Objekte selbst, die für uns verschwunden sind.
Gegenstände, die einmal zum Alltag gehörten, nun aber Reliquien einer Vergangenheit geworden sind. Oder es gibt auch das freudige Erkennen, das es so was ja auch mal gab.
Und seine Arbeiten können auch ein haptisches Bedürfnis auslösen, das dann aber unerfüllt bleibt – wir dürfen das ja nicht einfach so anfassen – aber wenigstens das Gefühl erinnern, wie sich so was mal angefühlt hat.
Einige seiner Arbeiten sind betitelt, einige ohne Titel.
Die Unbetitelten setzen auf unsere ganz eigenen Assoziationen.
Mit der Vergabe von Titeln gibt er uns eine Richtung vor, aber auch hier, denke ich, werden die Bezugsergebnisse jeweils ganz individuell sein.
Ich will hier mal drei Beispiele von Assoziationsketten aus meinen Erinnerungsschubladen vorstellen, der sie vielleicht gar nicht folgen wollen, weil sie selbst eine ganz andere haben.
Aber ich habe heute hier den günstigen Platz, der mir ermöglicht, sie zu verkünden.
Die Arbeit „Loreley“ zeigt schmale, gläserne Gebilde, aus denen uns zarte biedermeierliche Frauengestalten ansehen. Ein Rahmen hält die Glasgebilde gefangen und wir lesen noch das Wort Rhein.
Für mich assoziieren die Beidermeierfrauen die gebändigte Form der Rheintöchter. Sie stecken, dass weiß ich von Dirk Braungardt, in Glühbirnen, die es in dieser Form heute nicht mehr gibt und führen mich zurück in die Zeit der Industrialisierung als diese Glühbirnen entwickelt wurden.

Und als unter anderem der Vater Rhein in seinem natürlichen Lauf gebändigt wurde, der Flusslauf begradigt – speziell sein mäanderartiger Lauf am Oberrhein, was im Zuge der Industrialisierung für die wachsenden Transporte per Schiff notwendig, weil ökonomisch war. – komme hier also irgendwie zu unserem Umgang mit der Natur.
Die kleine Arbeit ohne Titel (neben dem „Tagebuch“) hat mich gleich gefesselt wegen der Überschrift „Trauerfeier“ in diesem Zeitungssegment.
Ich habe mich durch die Zeilen gearbeitet und gefunden, dass es die Trauerfeier für Werner Lamberz und Ernst Jankowski war, über die hier berichtet wurde.
Werner Lamberz war, wie es die älteren DDR- sozialisierten Menschen vielleicht noch wissen, damals so was wie der Kronprinz des Politbüros der DDR. Er führte 1978 in Libyen im Auftrag des Politbüros Verhandlungen mit Gaddafi, sein Hubschrauber stürzte beim Rückflug über der libyschen Wüste ab, wobei er zu Tode gekommen sein soll.
Bis heute ist nicht geklärt, was den Absturz verursacht hat, ob es ein Attentat war und wenn ja, wer war der Auftraggeber. Mir zieht sich damit, angeregt durch die Materialcollage von Dirk Braungardt, ein spektakulärer, ungeklärter, historischer Vorfall in die Erinnerung
Interessant war für mich, dass für Dirk Braungardt dieser Inhalt, Ursache meiner Erinnerung, von ihm gar nicht wahrgenommen wurde, für ihn war gestalterisch der schwarze Trauerrand wichtig.
Mein drittes Beispiel ist „Tschernobyl“.
Die verbogene Kupferplatte auf der Fläche wurde ursprünglich benutzt, um einen Theaterdonner zu erzeugen und war dann ein Fundstück aus einem Abfallcontainer des Opernhauses.
Laut Dirk Braungardt sinnbildet es für ihn den Schutzschild oder Schutzmantel um den Reaktor, der 2016 erstellt wurde, aber wohl nun auch schon wieder nachlässt. Das kleine Fratzengesicht, was sich durchs Metall drängt verweist auf das grundsätzlich Böse und das kleine rote Kreuz auf gesundheitliche Gefahren und Schäden.
Donner als Wetterphänomen führt mich zu den Überlegungen, ob die Reaktorkatastrophe auch das Wetter beeinflusst hat. Natürlich habe ich bei Google nachgesehen, nichts Konkretes zum Wettereinfluss gefunden, aber doch so viel, dass der Deutsche Wetterdienst damals mit Hilfe 12 spezieller Messstellen vom ersten Tag an die erhöhten Werte der Radioaktivität in Luft und Niederschlag feststellen konnte und entsprechende Ausbreitungen vorhersagen konnte. Also doch die Assoziation – Donner-Tschernobyl-Wetter- Umwelt

Ich gebe zu, auch die“7“ hätte mich gereizt, um Ihnen meine Assoziationen vorzustellen, schließlich ist die Sieben eine ausgesprochen bedeutungsvolle Zahl in unserer Kultur- und Kunstgeschichte.
Gibt es doch die 7 Tugenden und die 7 Laster, auch die 7 Todsünden, aber letztendlich denke ich, ist es doch für Sie vergnüglicher, den eigenen Gedanken zu folgen.
Noch ein Wort zur Bücherecke. Sie erinnert mich fatal an meine eigene Bibliothek, die vielleicht auch mal so endet wie diese in der Bücherecke, weil niemand mehr ein Buch in Hand nimmt.
Jetzt würde ich Sie Ihren gern Ihren eigenen Erinnerungsschubladen und Assoziationsketten überlassen, wenn sich genauer mit den Materialcollagen oder Assemblagen von Dirk Braungardt befassen wollen.
Der Künstler selbst, Dirk Braungardt, ist Techniker am Opernhaus Halle, seit 2006 stellt er seine Arbeiten aus, mit Schwerpunkt Leipzig und Halle.
Es war mir ein reizvolles Unterfangen, mich hier auf seine Arbeiten einzulassen, seine Materialästhetik wahrzunehmen und zu genießen und meinen gewundenen Gedanken zu folgen und das wünsche ich Ihnen auch.

Und Dirk Braungardt wünsche für seinle Ausstellung viel Erfolg.